Samstag, 19. September 2020

Ein Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire I


Salvete aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Der Grösste unter euch soll euer Diener sein." (Mt. 23,11)

dieses Diarium ist kategorial konstituiert und werde ich fortnightly führen.

Topologisches:
Insofern ich mich aufgrund des herrschenden viralen Faktums zu einer Neu- und Umdisponierung der vormaligen Intention meine Klosterzeit im Heiligen Lande zu eröffnen, gezwungen sah, hat mich das “Wirken des Hagion Pneuma“ also in die Abtei Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire südöstlich von Orléans geleitet, d.h. beinah in das geographische Herz Frankreichs. Der provinzielle, an der Loire gelegene Locus, wartet dabei mit einer pittoresken, darin durchaus vangogh'isch, oder aber auch proust'isch resp. flaubert'isch anmutenden Landschaft auf, die einen in ruhevolle Sanftmut hüllt. Nachts entfaltet sich über dieser landschaftlichen Stille ein majestätisches Himmelszelt, welches in mir allemal psalmistische Empfindungen freisetzt.

Die Abtei Fleury selbst, im 7. Jahrhundert gegründet, seither verschiedentlich zerstört und neu aufgebaut, präsentiert sich, in ihrem offenkundigsten Erscheinungsbild mit ihrer romanischen Kirche, welche die Wirren der Geschichte, grosso modo, glücklicherweise unbeschadet überstanden hat. Dieser vorgothische, von Rundbögen und massiven steinernen Säulen geprägte Stil behagt mir sehr und lässt mich die räumlichen Stimmungsbilder scholastischer Kontemplationen mehr als nur ahnen. In der Krypta wiederum beherbergt die Abtei die Reliquien des heiligen Benedikt. Sie ist diesbezüglich also die Hüterin eines der grossen personalen Fundamente des Abendlandes, was sie nicht zufällig auch zur Wallfahrtskirche macht.

Über Saint-Benoit-sur-Loire hinaus hat die alljährlich stattfindende "Grande Promenade" am ersten Freitag meiner Ankunft mich und die hier ansässigen, knapp dreissig Fratres und Patres in die Region von Nevers, d.h. vom Centre-Val de Loire in die Bourgogne, geführt. Anlass war der Besuch eines Weingutes. Spaziergänge entlang der Loire (welche die Gemeinschaft jeden Samstagnachmittag pflegt), aber auch eine Fahrradfahrt, die ich bis nach Châteauneuf-sur-Loire, einem der nächst liegenden, grösseren Dörfer, unternommen habe, runden meine bisherigen topologischen Erkundungen dieser zweifelsohne am Schönen nicht unbeträchtlich rührenden Gegend hier ab.

Ora et labora:
Morgens, d.h. nach der Laudes, die um 06:30 Uhr stattfindet, bin ich, wie der Abt Jacques mich wissen liess, jeweils frei, mich meinen eigenen Studien und Schreibarbeiten zu widmen. Deo gratias. Denn von den Kirchenvätern über Thomas von Aquin bis Teilhard de Chardin habe ich an die zehntausend Seiten anzugehen, welche das Ihrige verlangen. Darüber hinaus gilt es auch mein Oeuvre weiter prosperieren zu lassen, was, so gesehen, das Noch-Seinigere verlangt. Um 12:00 Uhr wird Heilige Messe gefeiert, die der nicht selten mehrstimmige gregorianische Chorgesang mit viel Anmut und Würde einrahmt, immer wieder auch von einer Zither begleitet. Nachmittags wiederum habe ich mich bisher verschiedensten Arbeiten gewidmet, die auf dem grossen, das Kloster umgebenden Gelände angefallen sind: Dazu gehörte bis anhin die Apfel, Birnen- und Nussernte, klassische Gartenarbeit, aber auch das Entfernen des wuchernden Efeus auf einer Gartenmauer aus dem 12. Jahrhundert. Zu diesen Arbeiten begleitet mich oftmals auditiv die französische Bibel oder aber gebe ich mich, ganz in monastischer und vor-monastischer Tradition, dem Erlernen von Psalmen hin. Um 18:00 Uhr folgt die Vesper, nach der Abendspeise ab 21:00 Uhr wiederum die Vigil (nicht selten ziehen dazu Fledermäuse unter den Kreuzgratgewölben ihre Kreise). Der Abend schliesslich steht, nebst anderweitigen Lektüren, im Zeichen des Gebets, wobei mich zurzeit insbesondere die praktischen Differenzen zwischen dem wörtlichen, liturgischen, meditativen, inneren sowie mystisch-kontemplativen Gebet beschäftigen.

Vergangen Sonntag gab der Choeur de Radio France ein höchst sublimes Choralkonzert in der Kirche, in welchen insbesondere die Interpretationen einiger Werke Arvo Pärts magistral und doch von tiefer Demut geprägt die hiesigen Gemäuer durchschallten.

Insgesamt wurde ich hier sehr herzlich und mit offenen Armen empfangen. Der Geist weht wo und wie er will. Es scheint, dass er hier ein Gutes mit mir will.

Bildgeschehenisse: 
Abschliessend folgen einige visuelle Impressionen meines bisherigen Hierseins:



















- "Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen (...)." (Lk 9,26)

In Christo, cordialiter et valete,
J