Donnerstag, 3. Dezember 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire (und Einsiedeln) VI

Salvete wohl aus Einsiedeln,

- "Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch heiß bist. Ach, daß du kalt oder heiß wärst! / So aber, weil du lau bist und weder kalt noch heiß, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." (Offb 3,15-16)

Nach beinah elfeinhalb wöchigem Dasein im klosterzeitlich konnotierten Fleury erfolgen diese abschliessenden Zeilen bereits aus Einsiedeln und seiner resümierenden Warte zurück auf die vergangenen Wochen im Frankenreich:

Topologisches:
Auch die finalen Tage an der Loire waren von der bereits beschriebenen Rückwurfsmotion gezeichnet, welche das materiell Essenzielle des Ortes, das dabei angerufene Hierophane sowie das auf Identität und Intimität hin gestimmte Beisein in der Liturgie aber fühlbar um den bedeutsamen Faktor der Wiederholung steigerte, indem nämlich jede Reiteration dieser Kategorien des Aussen und des Innen eine immer tiefere Imprimatur ihrer Gehalte in meiner geistleiblichen Seele bemühte. Fast nichts ereignete sich nun noch zum ersten Male, doch beinahe alles zum letzten. Und als solches hinterliess es sich selbst in mir.

Dass ich aufgrund dieser Prägelogik dereinst das Monastische und die damit verbundenen Vorzüge wohl stärker vermissen werde, als dass es auf Anhieb gelingen wird, das Klösterliche, im Sinne von Dostojewskijs Aljoscha, selbst im Herzen in die Welt zu tragen und davon aus meiner eigenen seelischen Mitte strahlen zu lassen, wäre wohl nur naturgemäss. Doch muss es nicht dergestalt sein, und soll es auch nicht.

Es soll nicht so sein, denn Fleury ist, seinem Namen nach, das Erblühte, das Fruchtbare, die zur Herrlichkeit geöffnete Blume. Die daraus gesäten Samen wollen alle auf dasselbe hin spriessen, nämlich auf das "Eine", welches der Mönch semantisch (von monos, allein) schon in in sich birgt: Die Alleinheit aller Dinge, aller Menschen und aller Dinge und Mensch im einen Gott. Der Mönch ist das Symbolon des Einen in Allem und des Alles im Einen. Diese Unität aber, auf welche jeder Mönch weist und auf welche hin die fleury'sche Saat gedeihen will, ist die Liebe, die sich für uns alle in der soterischen Theosis überwältigend auftut als dem grössten, letzten und übermässigsten Begehrnis der menschlichen Natur, welches er selbst aber sein wird, insofern wir an Gott, der die Liebe ist, teilhaben werden. Und weil dies so ist, muss nichts hier zur Nostalgie vergehen, sondern soll alles zum Dienst sich potenzieren.

Ora et labora et lege:
Meinen letzten, persönlichen jour de désert brachte ich drei Tage vor meiner Abkunft zu. Es galt die Summen zu ziehen und das Auge schon auf das nunmehr Anzugehende zu werfen. Das Gebet als Wurf also auf das Unverfügbare tausender Wirktaten.
Aber auch der klösterliche labor suchte in diesen letzten Tagen noch einmal das Dichte, ehe er sich zu befreien wusste in meine Prospektionen über die Klosterzeit hinaus. Noch einmal aber galt es rein zu waschen, was an Geschirr rein zu waschen war; noch einmal galt es Bäume neu- und umzupflanzen (diesmal Föhren), wo dies erbeten war; und noch immer galt es den Obstgarten zu dekonstruieren und für den kommenden Frühling vorzubereiten, wo dies Mater Gaia so will; und noch immer laborierte ich dazu am Psalter, wo mein Wille mir dies zum Willen gab.
Viele Lektüren fanden derweil ihr Ende, was für Thomas und seine Summe selbstredend nicht gelten kann. Diese wird mich noch einige Wochen, bis in das annum novum hinein beschäftigen, ebenso wie eine Kirchengeschichte, die ich zum Abschluss noch in Angriff nahm.
Auch die spiritualité monastique nahm zumindest mit mir ihr Ende, was inhaltlich, mit einem Blick in die Apophthegmata, durchaus adäquat gelang.

Mein Schaffen indes nahm und nimmt mit Fleury kein Ende und wird dies auch weit, weit über das neue Jahr hinaus nicht tun. Meine letzten Striche in Fleury galten meinen lyrischen Nachsinnungen, was mir die Würdigkeit gebot.


Vom Logos angeleitet war indes auch mein formaler Abschied aus Fleury: Zum einen in letzten regen Gesprächen mit vielen Fratres und Patres sowie auch einer Einladung ins Capitulum, wo ich mich, an das Kollektiv gewandt, allgemein verabschiedete und auch Rede und Antwort stand auf Fragen und Anregungen aus dem Plenum. Zum anderen, indem ich am Vorabend meiner Abkunft einen leicht ekstatischen Vortrag über meine letzthin vollendete Schrift "Menetekel" hielt, die sich mit dem Vergleich des Christentums und der Digitalisierung beschäftigt. Es war dies ein symbolisch vortreffliches Ende, in welchem sie Gabe und Erhalt sowie Dienst und Gnade noch einmal die Hand reichten...


... Und nun weile ich schon im einsiedelschen Hier und habe mich rückblickend noch einmal mit mir selbst und meinen Tagen und Zeiten befasst. Es ist der Donnerstag Abend des 3. Dezembrius Anno Domini 2020 und draussen liegt viel Schnee. 

Wofür ich in Fleury angetreten bin? Dafür, wovon kaum einer spricht, sobald meine Klosterzeit zur Sprache kommt. Nicht die monastischen Modi nämlich waren es, die Arbeit und das Gebet oder all die theologischen Lektüren und Diskurse und auch nicht die Liturgie oder die Schönheit und Ruhe der dortigen Natur, nein - denn alle diese Modalitäten sind nur Verzugänglichungen und Realisierungen dessen, worum es wirklich geht - sondern Gott war es und Gott ist es, der Eine, für den ich angetreten bin und um den alles Menschliche kreist, wissentlich oder unwissentlich. Was aber ist Gott? Wir wissen es nicht; und wir wissen es doch: Gott nämlich ist die Liebe. Von der Liebe aber weiss nur, wer auch liebt. Lasst uns also lieben lernen, weit über uns selbst hinaus...


Bildgeschehnisse:

Das Vor-Ende gebührt so noch einmal und einmal mehr dem liebenden Auge. "Licht durch Licht", wie der Dichter sagt:




















Das Ende aber gehört der Anagoge und all jenen, die sich von ihr hinaufführen lassen:

- "In derselben Nacht stand er auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde sowie seine elf Söhne und durchschritt die Furt des Jabbok. / Er nahm sie und ließ sie den Fluss überqueren. Dann schaffte er alles hinüber, was ihm sonst noch gehörte. / Als nur noch er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. / Als der Mann sah, dass er ihm nicht beikommen konnte, schlug er ihn aufs Hüftgelenk. Jakobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang. / Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. / Jener fragte: Wie heißt du? Jakob, antwortete er. / Da sprach der Mann: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter); denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen. / Nun fragte Jakob: Nenne mir doch deinen Namen! Jener entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete er ihn dort. / Jakob gab dem Ort den Namen Penuël (Gottesgesicht) und sagte: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen." (Gen 32,23-31)

In Christo, cordialiter et valete,

J