Donnerstag, 3. Dezember 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire (und Einsiedeln) VI

Salvete wohl aus Einsiedeln,

- "Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch heiß bist. Ach, daß du kalt oder heiß wärst! / So aber, weil du lau bist und weder kalt noch heiß, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." (Offb 3,15-16)

Nach beinah elfeinhalb wöchigem Dasein im klosterzeitlich konnotierten Fleury erfolgen diese abschliessenden Zeilen bereits aus Einsiedeln und seiner resümierenden Warte zurück auf die vergangenen Wochen im Frankenreich:

Topologisches:
Auch die finalen Tage an der Loire waren von der bereits beschriebenen Rückwurfsmotion gezeichnet, welche das materiell Essenzielle des Ortes, das dabei angerufene Hierophane sowie das auf Identität und Intimität hin gestimmte Beisein in der Liturgie aber fühlbar um den bedeutsamen Faktor der Wiederholung steigerte, indem nämlich jede Reiteration dieser Kategorien des Aussen und des Innen eine immer tiefere Imprimatur ihrer Gehalte in meiner geistleiblichen Seele bemühte. Fast nichts ereignete sich nun noch zum ersten Male, doch beinahe alles zum letzten. Und als solches hinterliess es sich selbst in mir.

Dass ich aufgrund dieser Prägelogik dereinst das Monastische und die damit verbundenen Vorzüge wohl stärker vermissen werde, als dass es auf Anhieb gelingen wird, das Klösterliche, im Sinne von Dostojewskijs Aljoscha, selbst im Herzen in die Welt zu tragen und davon aus meiner eigenen seelischen Mitte strahlen zu lassen, wäre wohl nur naturgemäss. Doch muss es nicht dergestalt sein, und soll es auch nicht.

Es soll nicht so sein, denn Fleury ist, seinem Namen nach, das Erblühte, das Fruchtbare, die zur Herrlichkeit geöffnete Blume. Die daraus gesäten Samen wollen alle auf dasselbe hin spriessen, nämlich auf das "Eine", welches der Mönch semantisch (von monos, allein) schon in in sich birgt: Die Alleinheit aller Dinge, aller Menschen und aller Dinge und Mensch im einen Gott. Der Mönch ist das Symbolon des Einen in Allem und des Alles im Einen. Diese Unität aber, auf welche jeder Mönch weist und auf welche hin die fleury'sche Saat gedeihen will, ist die Liebe, die sich für uns alle in der soterischen Theosis überwältigend auftut als dem grössten, letzten und übermässigsten Begehrnis der menschlichen Natur, welches er selbst aber sein wird, insofern wir an Gott, der die Liebe ist, teilhaben werden. Und weil dies so ist, muss nichts hier zur Nostalgie vergehen, sondern soll alles zum Dienst sich potenzieren.

Ora et labora et lege:
Meinen letzten, persönlichen jour de désert brachte ich drei Tage vor meiner Abkunft zu. Es galt die Summen zu ziehen und das Auge schon auf das nunmehr Anzugehende zu werfen. Das Gebet als Wurf also auf das Unverfügbare tausender Wirktaten.
Aber auch der klösterliche labor suchte in diesen letzten Tagen noch einmal das Dichte, ehe er sich zu befreien wusste in meine Prospektionen über die Klosterzeit hinaus. Noch einmal aber galt es rein zu waschen, was an Geschirr rein zu waschen war; noch einmal galt es Bäume neu- und umzupflanzen (diesmal Föhren), wo dies erbeten war; und noch immer galt es den Obstgarten zu dekonstruieren und für den kommenden Frühling vorzubereiten, wo dies Mater Gaia so will; und noch immer laborierte ich dazu am Psalter, wo mein Wille mir dies zum Willen gab.
Viele Lektüren fanden derweil ihr Ende, was für Thomas und seine Summe selbstredend nicht gelten kann. Diese wird mich noch einige Wochen, bis in das annum novum hinein beschäftigen, ebenso wie eine Kirchengeschichte, die ich zum Abschluss noch in Angriff nahm.
Auch die spiritualité monastique nahm zumindest mit mir ihr Ende, was inhaltlich, mit einem Blick in die Apophthegmata, durchaus adäquat gelang.

Mein Schaffen indes nahm und nimmt mit Fleury kein Ende und wird dies auch weit, weit über das neue Jahr hinaus nicht tun. Meine letzten Striche in Fleury galten meinen lyrischen Nachsinnungen, was mir die Würdigkeit gebot.


Vom Logos angeleitet war indes auch mein formaler Abschied aus Fleury: Zum einen in letzten regen Gesprächen mit vielen Fratres und Patres sowie auch einer Einladung ins Capitulum, wo ich mich, an das Kollektiv gewandt, allgemein verabschiedete und auch Rede und Antwort stand auf Fragen und Anregungen aus dem Plenum. Zum anderen, indem ich am Vorabend meiner Abkunft einen leicht ekstatischen Vortrag über meine letzthin vollendete Schrift "Menetekel" hielt, die sich mit dem Vergleich des Christentums und der Digitalisierung beschäftigt. Es war dies ein symbolisch vortreffliches Ende, in welchem sie Gabe und Erhalt sowie Dienst und Gnade noch einmal die Hand reichten...


... Und nun weile ich schon im einsiedelschen Hier und habe mich rückblickend noch einmal mit mir selbst und meinen Tagen und Zeiten befasst. Es ist der Donnerstag Abend des 3. Dezembrius Anno Domini 2020 und draussen liegt viel Schnee. 

Wofür ich in Fleury angetreten bin? Dafür, wovon kaum einer spricht, sobald meine Klosterzeit zur Sprache kommt. Nicht die monastischen Modi nämlich waren es, die Arbeit und das Gebet oder all die theologischen Lektüren und Diskurse und auch nicht die Liturgie oder die Schönheit und Ruhe der dortigen Natur, nein - denn alle diese Modalitäten sind nur Verzugänglichungen und Realisierungen dessen, worum es wirklich geht - sondern Gott war es und Gott ist es, der Eine, für den ich angetreten bin und um den alles Menschliche kreist, wissentlich oder unwissentlich. Was aber ist Gott? Wir wissen es nicht; und wir wissen es doch: Gott nämlich ist die Liebe. Von der Liebe aber weiss nur, wer auch liebt. Lasst uns also lieben lernen, weit über uns selbst hinaus...


Bildgeschehnisse:

Das Vor-Ende gebührt so noch einmal und einmal mehr dem liebenden Auge. "Licht durch Licht", wie der Dichter sagt:




















Das Ende aber gehört der Anagoge und all jenen, die sich von ihr hinaufführen lassen:

- "In derselben Nacht stand er auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde sowie seine elf Söhne und durchschritt die Furt des Jabbok. / Er nahm sie und ließ sie den Fluss überqueren. Dann schaffte er alles hinüber, was ihm sonst noch gehörte. / Als nur noch er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. / Als der Mann sah, dass er ihm nicht beikommen konnte, schlug er ihn aufs Hüftgelenk. Jakobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang. / Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. / Jener fragte: Wie heißt du? Jakob, antwortete er. / Da sprach der Mann: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter); denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen. / Nun fragte Jakob: Nenne mir doch deinen Namen! Jener entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete er ihn dort. / Jakob gab dem Ort den Namen Penuël (Gottesgesicht) und sagte: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen." (Gen 32,23-31)

In Christo, cordialiter et valete,

J





Sonntag, 15. November 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire V

Salvete wohl, erneut und noch immer aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt. / Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. / Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut." (Eph 4,14-17)


Nunmehr auch die zehnte klosterzeitliche Woche ins Gelingen gestellt, folgt der übliche orts-, gebets-, arbeits-, und bildsteigende Blick auf die vergangenen Zeiten, die sich am Halbmonatlichen abmühen:


Topologisches:
Wie nun das virale Faktum die raumzeitlichen Bewegungsverhältnisse für unsereins zurzeit nicht wenig prägt, waren diesen letzten vierzehn Tage, wie bereits angedeutet, auch hier von einer topologischen Selbstreterenz gezeichnet. Dieser Rückwurf hat es nun zwar verhindert, dass ich in eigentlich greifbarer Nähe liegende Orte wie Nevers, Bourges und Tours zu erkunden vermochte, hat mich aber näher an Fleury, sein Kloster und die unmittelbare Umgebung gebunden, was gewiss auch sein Gutes und Rechtes hat. Vom Piano über die Loire und den Kreuzgang bis hin zu Benedikts Reliquien wussten sich mir so bereits vertraute Freunde noch einmal vertrauter und liebsamer zu machen. Wir könnten diese intensivierten Freundschaften auch als existenzielle Berührungen der materialisierten Essenz bezeichnen, im Hiersein und Hierfühlen, im Hierwesen und Hiertun - und dies immer mit dem Zweck daran das Hierophane zu evozieren. Aber ach, gelang es mir auch?

Aufgrund des Rückwurfes auf uns selbst fanden und finden die Messen sowie die Terz hier nun nicht mehr wie üblich in der Kirche, sondern neu im hausinternen Oratorium Saint-Louis statt. Mit zweifacher Folge: Insofern ich hier nämlich Teil der Gemeinschaft bin, sozusagen ein Glied am fleury'schen Corpus, ist dies ein unitarisches Begebnis: Eine neue, identitätsstiftende Einheit brach sich mir bahn. Insofern ich hier aber doch nur als ein Gast weile, wurden und werden die Messen im Grunde, aus meiner externen Perspektive, wiederum nur für mich allein gefeiert: Eine neue Intimität mit der Eucharistie war die Folge.

Identität und Intimität, es sind dies vor allem Kategorien des Innen. Und als solche manifestierten sie sich mir auch in ihrem wunderbaren Wert: Im Aussen tobte die konkupiszente und viral gebeutelte Welt in diesen zwei Wochen nicht wenig, hier, im gesteigerten Innen des essenziell Identischen und Intimen aber wuchsen Ruhe und Sublimität. Zwei Gnaden, die nicht nur zu geniessen und fruchtbar zu machen, sondern auch mit Dank und Demut anzunehmen sind. Deo gratias.


Ora et labora et lege:

Wie angedacht, habe ich diese letzthinnigen Zeiten auch zur Intensivierung kontemplativer Tage genutzt und so nebst dem ersten Freitag des Monats, der einmal mehr als kollektiver "jour de désert" begangen wurde, auch mehrere persönliche Wüstentage der vollkommenen Stille, Selbstbesinnung und Ferne von digitalen Gerätschaften eingelegt. Wenn Kierkegaards Wort, dass das Gottesverhältnis das einzige ist, was Bedeutung schafft (Tagebücher, Band II), und Paulus mit seinem Wort, dass er alles vermag durch den, der ihn stärkt (Phil 4,13), recht behalten, dann waren und sind dies genau jene Tage, in welchen mir Gott einreichte, was ich fortan in Stärke zur Signifikation gebracht haben werde.

Die klosterbezogenen Arbeiten indes oszillierten erneut zwischen dem kühleren, aber doch nicht wirklich kalten Aussen und dem jedenfalls warmen, aber nicht heissen Innen: So war ich gleichermassen an der "Dekonstruktion" des Obstgartens beteiligt (alle Früchte sind gepflückt, die Knospen für das kommende Jahr sind aber bereits sichtbar im Werden begriffen), half mit bei der Um- und Einpflanzung von 24 Weissbuchen und blieb in der Confiserie zwischen Zucker und Plastik beschäftigt.

Meine kleinen Leseexzesse wiederum hielten ihren gewohnten Rhythmus bei, wobei ich mich nun, nach einigen vollendeten Lektüren, neu vor allem mit Thomas von Aquin und seiner Summa auseinanderzusetzen begonnen habe. Danebst wurde ich auch bei Rousseau, Balzac, Michel Henry und Agamben heimisch, bei letzterem etwa zu seinem angelologischen Beitrag. Der Höhepunkt in dieser Sache aber war - und ist es noch - die Beschäftigung mit der reinherzigen Simone Weil, wobei ich mich zunächst ihren Briefen und danach ihrem Werk "Pesanteur et Grace" gewidmet habe.
Der Kursus zur Spiritualité monastique seinerseits schritt zunächst zur Klosterausbreitung im Abendland sowie den verschiedenen Klosterregeln des ersten Jahrtausends vor, um dann, wieder einige Schritte zurück, bei Pachomius zu enden.

Auch mein schaffender Logos hielt seinen bisherigen Rhythmus, blieb aber an den ebenselbigen Werken rege, wie diese seit den letzten Wochen meine Bemühungen um mein Oeuvre eben zeichnen. Beharrlichkeit ist gefragt, und Geduld. Zwei Leidenszeichen poietischer Naturen.


Bildgeschehnisse:

Zum vorbereitenden Abschluss dieser Zeilen wiederum der Blick auf einige Bildgeschehnisse dieser Tage. Man sehe und denke sich... :

















- "Der Knecht aber, der seines Herrn Willen weiß, und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen getan, der wird viel Streiche leiden müssen. / Der es aber nicht weiß, hat aber getan, was der Streiche wert ist, wird wenig Streiche leiden. Denn welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern." (Lk 12,47-48)

In Christo, cordialiter et valete,

J




Sonntag, 1. November 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire IV

 Salvete wohl, weiterhin aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor meinen Angesicht und sei vollkommen." (Gen 17,1)

Acht klosterzeitliche Wochen, also beinah zwei Monaten, haben sich mir schon temporalisiert. Die Zeit eilt wie im Winde und so schauen wir, innerlich stets bewegt, im thematischen Dreiblick zurück auf die vergangenen beiden Wochen. Derweil ich diese Zeilen schreiben werde, horche ich Pendereckis vorzüglichem "Polnischen Requiem". Vielleicht tonus, also Ton und Spannung, meines Schreibens?

Topologisches:
Fleury hält sich; und bleibt in seiner Würdigkeit gross. Insbesondere die phänomenologische Konvergenz von Gebet, Musik und Licht leistet hierbei das Ihrige, wenn also die Bitten und das Danken, das Betrachten und das Besinnen, das Lieben und das Knien sich vereinen mit der aufgetauten, romanischen Architektur, der entwundenen, tragenden Stimmlichkeit der Worte und dem entfesselten Wohlklang der Tonkünste - und dies im Lichte der unterschiedlichst aufgespreizten Lichtfächer. Eine kerzenlichtgetränkte Laudes im Zwielicht wird so zum intentionalen Grossereignis.

Am 26.10. wurde hier feierlich der 812. anniversaire der Weihe des Altars begangen (nach dem erneuten Wiederaufbau der Kirche anfangs des 13. Jahrhunderts). Dafür war, nebst den Benediktinerschwestern aus dem Kloster Notre-Dame de Bouzy-la-Forêt, auch Michel Aupetit, der Erzbischof von Paris, zu Besuch, der uns im Verlauf der Tage (er blieb zwei Nächte) einige formidable Predigten zudonnerte, ganz zu meinem Vergnügen.

Darüber hinaus war ich auch reiselogisch weiterhin bemüht. Wo es ursprünglich die Absicht war, Lyon und die Ruinen sowie verbliebenen Bauten der nahe gelegenen, ehemaligen Abtei Cluny aufzusuchen (zeitweise war Cluny das größte Kloster der Welt), wusste das virale Faktum dies zu verhindern. So kam es stattdessen zu einer Reise in die Region Grand Est, genauer nach Nancy und Metz. Über Paris (hier galt es, wie stets, u.a. die mir bedeutsame Kirche Saint-Sulpice im sechsten Arrondissement aufzusuchen) stiess ich so in das ehemalige Herzogtum Lothringen (Nancy) und später dann in die örtliche Genesis der Karolinger (Metz) vor. Beide Städte sind aufgrund ihrer historischen Schätze und Kirchen zweifelsohne sehenswert, vor allem Metz, die gelbliche, an der Mosel gelegene Mirabellenstadt, entpuppte sich mir als verwunderlich schöner locus.

Ora et labora et lege:
Mit Augen der Tauben, hellbegeistert und beseligend, gilt es jedes Werk anzugehen. So auch hier, allem Versuchen alles schuldig.

Nebst meiner Re-Inklusion in die geschirrliche Reinwaschungsmaschinerie verlagerte sich meine Klosterarbeit zunehmend in die wärmeren Gefilde geschlossener Räume. Zwar war ich zeitweise noch immer draussen beschäftigt, etwa mit der Reinigung und Pflege der Grabsteine des klösterlichen Friedhofs, doch hat man mir nun neu auch Arbeiten in der hiesigen Confiserie anvertraut. Das Kloster produziert seit bald siebzig Jahren eigene Pastillen resp. Bonbons in zwölf Geschmacksrichtungen. - "Buscar y haller a Dios in todas las cosas" - . Gemäss dem jesuitischen Grundsatz "Gott in allen Dingen zu suchen und finden" versuchte ich so dem Göttlichen auch in seiner erstarrten Zuckerstärkearomatik nachzuspüren. Auch bei diesen Tätigkeiten konnte ich freilich meinen Psalmen und Hörbüchern huldigen, welche mir in der manuellen Mechanik jeweils das geistige Fluidum verleihen.

Auch der gelesene Logos schritt, nebst meinen andauernden Augustinus-Lektüren von "De Civitate Dei" und "De Trinitate" sowie meiner Beschäftigung mit Johannes vom Kreuz, Mallarmés Lyrik, Voltaires Erzählungen und Hamsuns "Mysterien", in neue Gefilde vor. So habe ich mich neu auch Teilhard de Chardins "Der Mensch im Kosmos", Georges Bernanos' Erstlingsroman "Sous le soleil de Satan" sowie, ebenfalls bereits zum dritten Male (wie der kleinen Thereses Seelenhistorie), Josemaria Escrivá de Balaguers "Camino", also "Der Weg", zugewandt. Im Rahmen der spiritualité monastique wiederum beschäftigten uns die Wüstenväter, von Antonius und Makarios den Grossen ausgehend bis in die koptische Gegenwart. Wer will es abstreiten, aber die Tage und Wochen hier ähneln einem höchst intensiven Theologiestudium (an die 45 ECTS dürften es wohl sein) inklusive real-existenzialem Praktikum. Nichts hält hier inne, aber Gott will auch alles und alle.
Der schaffende Logos seinerseits hielt mich weiterhin an meinem Oeuvre fest: Von "Gaia Beata" über den "totalen Gott" bis hin zu den "Nachsinnungen". Noch mehr Worte. Aber nichts hält hier inne, denn Gott will alle und auch alles.

Neu kam ferner hinzu, dass ich mich Samstag abends mit den Novizen hier zu einer lectio Divina versammelte, die auch hier nach dem klassischen Vierschritt praktiziert wird: Lectio, meditatio, oratio und dann (wenn's gelingt) die contemplatio.

Schliesslich, heute an Allerheiligen, dem ersten Tag des Novembrius, geht auch Fleury in die zweite, politisch determinierte Abriegelungsphase über. Von Unfreund Covid-19 war bisher, bis auf das Tragen der Masken in der Kirche während dem öffentlichen Stundengebeten und den Messen, wenig bis nichts zu merken. Nun allerdings werden die Gottesdienste und Gebete unter Ausschluss der Öffentlichkeit gleichsam interniert und auch das Verlassen des Klostergeländes wird nur noch unter restriktiven Bedingungen möglich sein. Vom damit implizierten Mühsal abgesehen, birgt dieser erneute Selbstrückwurf natürlich auch die grossen Potenziale verstärkter Versenkung. Meine verbleibende Zeit hier dürfte so, noch stärker als bisher, von genauer dieser Bewegung gezeichnet werden.

Bildgeschehnisse:

Es folgen zum Ende hin, vertrauterweise, einige photonische Gravuren, die sich in diesen hier bedachten Zeiten meinen Augenblicken entwanden:
















- "Wenn wir, ganz durchnässt vom Regen und von Kälte durchschauert, von Strassenkot schmutzig und von Hunger gepeinigt, zu unsern Brüdern kommen, und wenn wir dann an der Pforte läuten und der Pförtner käme und spräche: ´Wer seid ihr?´, und wenn er auf unser Wort ´Wir sind zwei deiner Brüder´, uns anführe und spräche: ´Was? Zwei Landstreicher seid ihr und streift in der Welt umher und nehmt den Armen ihre Almosen weg!´ – und er würde uns nicht aufmachen, sondern liesse uns stehen in Schnee, Wasser, Frost und Hunger bis in die Nacht hinein – wir aber würden all die Unbilden und Beleidigungen ruhig und ohne Murren geduldig tragen und würden in Demut und Liebe denken, der Pförtner kenne uns wirklich gut und Gott habe ihm solche Worte auf die Zunge gelegt, da, Bruder Leo, schreibe es, liegt die vollkommene Freude.“ (Franz von Assisi)

 

In Christo, cordialiter et valete,

J



Sonntag, 18. Oktober 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire III


Salvete wohl noch immer aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Glühen ist mehr als wissen." (Bernard de Clairvaux)

Und wir kontinuieren, auch nach eineinhalb Monaten, also schon der Hälfte meiner Zeit an der Loire, in gewohnter, nicht dialektischer, aber doch dreischrittartiger Manier:

Topologisches:
Wir wissen dies, der locus hier ist ein intrinsisch guter, ein be-geist-erter, dem ein subtiler Tiefsinn innewohnt, sofern man die eigene Zurückgeworfenheit und den damit aufgerissenen Spalt mit der Fülle seines Atems schliesst, um diesen Hiatus dann doch immer wieder aufzubrechen. Auf"bruch" und "Auf"bruch. In diesem Rhythmus zwischen Abgrund und Aufhellung wohnen das Bussetun und die Liebe, die Stille und die Musik im pervadierenden Zwischen des Gebets. Störet meine Kreise nicht.

Der locus wird, in seiner weiteren Ausdehnung, wie ich konstatiert habe, auch als ein UNESCO-Welterbe geführt. Das Tal der Loire zwischen Sully-sur-Loire und Chalonnes-sur-Loire geniesst dieses Prädikat, dem die hier wöchentlich jeweils samstags von den gewillten Frères und Pères unternommene, gemeinsame promenade entlang der Loire in gewisser Hinsicht auch huldigt.

Im Gestus dieser Huldigung habe ich mich so, nach meinem vormaligen Besuch von Châteauneuf-sur-Loire, jüngst auch in das andere, nächstgelegene Städtchen an der Loire, id est Sully-sur-Loire, begeben. Sully wartet insbesondere mit einem sehenswerten Schloss auf, das von einer bewegten Historie bis zurück in das 11. Jahrhundert zeugt, an welcher Grössen wie Jeanne d'Arc, Louis IVX und Voltaire das Ihrige beigetragen haben.

Über uns herrschen der Mond (d.h. die Kirche, im Sinne des Ambrosius, als Spiegel des göttlichen Lichts) und der bestirnte Himmel, derweil unter dem Segen der sichtbaren oder verhüllten Sonne zu den Speisezeiten das Refektorium, mit seinem abstrakt-chagall'isch anmutenden Fenstern, von Papst Franziskus' neuster Enzyklika "Fratelli tutti" durchschallt wird.

Ora et labora - et lege:
Ora et labora et lege. Es gilt den benediktinischen Leitgedanken des Arbeitens und Betens nämlich tunlichst auch um den Faktor des Lesens, also des "et lege" zu komplementieren, wie es dem mittelalterlichen Grundsatz ohnehin eignet und, darüber hinaus, ohnehin bestens konveniert mit meinen Gepflogenheiten hier.

Nach dem ersten, bereits angetönten, kollektiven Jour de désert, habe ich mittlerweile einen zweiten solchigen eingelegt: Ein Tag der vollkommenen Stille, Kontemplation und Einsamkeit also, mit dem Versuch möglichst in der heiligen Gegenwart Gottes zu harren. Weitere solche Tage werden folgen.

Das klosterbezogene Labora indes war noch immer von Apfel-, Birnen- und Nussernten sowie Gartenarbeit und allgemeinen Arbeiten am Klostergelände geprägt. Die Saisonalität und Regionalität der Speisen sowie überhaupt die starke, gerade auch haptische Naturverbundenheit der Benediktiner nahm und nimmt hier sehr plastische Züge an. Und mehr noch, wenn man diesen Dienst als Akt der Liebe fasst. Nach meiner Klosterzeit jedenfalls wird gelten, dass ich, und sei es auch für eine nur kurze Zeitspanne, auch Bauer und Gärtner versuchter Liebe gewesen sein werde.

An den gelesenen Logos wiederum knüpften mich vor allem intensive Augustinus-Studien an "De Civitate Dei" sowie "De Trinitate". Ferner hielt ich es weiterhin mit Origenes, den mir teueren Kappadokiern (Basilius der Grosse, Gregor von Nazianz sowie Gregor von Nyssa), Niggs "Geheimnis der Mönche", Johannes vom Kreuz sowie, zum Gegenüber der Theologie, auch mit Hamsuns "Mysterien", kleineren Werken Voltaires sowie Gedichten Mallarmés. Danebst besuchte ich auch weiterhin den Kurs zur spiritualité monastique.
An den schaffenden Logos wiederum banden mich eine Vielzahl poetischer, philosophischer sowie theologischer Arbeiten, deren Erwähnung im Detail ich hier unterlasse. Mögen die Früchte der dereinst vorliegenden, daraus gewachsenen Werke dafür sprechen.

Ohnehin, dass das Wesentliche meiner Klosterzeit in diesen hier preisgegebenen Gedanken und Worten ungesagt bleibt, und auch ungesagt bleiben muss, dürfte evident sein. Glühen ist auch mehr als Sagen.

Bildgeschehnisse:

Zum Ende hin wie üblich eine Reihe photographischer Begebenheiten, die sich wie folgt ausnehmen:
















 

- "Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten." (1 Kor 9,22)

 

In Christo, cordialiter et valete,

J