Sonntag, 18. Oktober 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire III


Salvete wohl noch immer aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Glühen ist mehr als wissen." (Bernard de Clairvaux)

Und wir kontinuieren, auch nach eineinhalb Monaten, also schon der Hälfte meiner Zeit an der Loire, in gewohnter, nicht dialektischer, aber doch dreischrittartiger Manier:

Topologisches:
Wir wissen dies, der locus hier ist ein intrinsisch guter, ein be-geist-erter, dem ein subtiler Tiefsinn innewohnt, sofern man die eigene Zurückgeworfenheit und den damit aufgerissenen Spalt mit der Fülle seines Atems schliesst, um diesen Hiatus dann doch immer wieder aufzubrechen. Auf"bruch" und "Auf"bruch. In diesem Rhythmus zwischen Abgrund und Aufhellung wohnen das Bussetun und die Liebe, die Stille und die Musik im pervadierenden Zwischen des Gebets. Störet meine Kreise nicht.

Der locus wird, in seiner weiteren Ausdehnung, wie ich konstatiert habe, auch als ein UNESCO-Welterbe geführt. Das Tal der Loire zwischen Sully-sur-Loire und Chalonnes-sur-Loire geniesst dieses Prädikat, dem die hier wöchentlich jeweils samstags von den gewillten Frères und Pères unternommene, gemeinsame promenade entlang der Loire in gewisser Hinsicht auch huldigt.

Im Gestus dieser Huldigung habe ich mich so, nach meinem vormaligen Besuch von Châteauneuf-sur-Loire, jüngst auch in das andere, nächstgelegene Städtchen an der Loire, id est Sully-sur-Loire, begeben. Sully wartet insbesondere mit einem sehenswerten Schloss auf, das von einer bewegten Historie bis zurück in das 11. Jahrhundert zeugt, an welcher Grössen wie Jeanne d'Arc, Louis IVX und Voltaire das Ihrige beigetragen haben.

Über uns herrschen der Mond (d.h. die Kirche, im Sinne des Ambrosius, als Spiegel des göttlichen Lichts) und der bestirnte Himmel, derweil unter dem Segen der sichtbaren oder verhüllten Sonne zu den Speisezeiten das Refektorium, mit seinem abstrakt-chagall'isch anmutenden Fenstern, von Papst Franziskus' neuster Enzyklika "Fratelli tutti" durchschallt wird.

Ora et labora - et lege:
Ora et labora et lege. Es gilt den benediktinischen Leitgedanken des Arbeitens und Betens nämlich tunlichst auch um den Faktor des Lesens, also des "et lege" zu komplementieren, wie es dem mittelalterlichen Grundsatz ohnehin eignet und, darüber hinaus, ohnehin bestens konveniert mit meinen Gepflogenheiten hier.

Nach dem ersten, bereits angetönten, kollektiven Jour de désert, habe ich mittlerweile einen zweiten solchigen eingelegt: Ein Tag der vollkommenen Stille, Kontemplation und Einsamkeit also, mit dem Versuch möglichst in der heiligen Gegenwart Gottes zu harren. Weitere solche Tage werden folgen.

Das klosterbezogene Labora indes war noch immer von Apfel-, Birnen- und Nussernten sowie Gartenarbeit und allgemeinen Arbeiten am Klostergelände geprägt. Die Saisonalität und Regionalität der Speisen sowie überhaupt die starke, gerade auch haptische Naturverbundenheit der Benediktiner nahm und nimmt hier sehr plastische Züge an. Und mehr noch, wenn man diesen Dienst als Akt der Liebe fasst. Nach meiner Klosterzeit jedenfalls wird gelten, dass ich, und sei es auch für eine nur kurze Zeitspanne, auch Bauer und Gärtner versuchter Liebe gewesen sein werde.

An den gelesenen Logos wiederum knüpften mich vor allem intensive Augustinus-Studien an "De Civitate Dei" sowie "De Trinitate". Ferner hielt ich es weiterhin mit Origenes, den mir teueren Kappadokiern (Basilius der Grosse, Gregor von Nazianz sowie Gregor von Nyssa), Niggs "Geheimnis der Mönche", Johannes vom Kreuz sowie, zum Gegenüber der Theologie, auch mit Hamsuns "Mysterien", kleineren Werken Voltaires sowie Gedichten Mallarmés. Danebst besuchte ich auch weiterhin den Kurs zur spiritualité monastique.
An den schaffenden Logos wiederum banden mich eine Vielzahl poetischer, philosophischer sowie theologischer Arbeiten, deren Erwähnung im Detail ich hier unterlasse. Mögen die Früchte der dereinst vorliegenden, daraus gewachsenen Werke dafür sprechen.

Ohnehin, dass das Wesentliche meiner Klosterzeit in diesen hier preisgegebenen Gedanken und Worten ungesagt bleibt, und auch ungesagt bleiben muss, dürfte evident sein. Glühen ist auch mehr als Sagen.

Bildgeschehnisse:

Zum Ende hin wie üblich eine Reihe photographischer Begebenheiten, die sich wie folgt ausnehmen:
















 

- "Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten." (1 Kor 9,22)

 

In Christo, cordialiter et valete,

J



Montag, 5. Oktober 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire II


Salvete erneut aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- “Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ (Joh 12,24)

Wir wollen also, nach nunmehr bereits vier Wochen, gemäß dem bekannten Dreischritt fortfahren:

Topologisches:
Fleury ist noch immer Fleury, auch nach diesem ersten Monat, den ich nunmehr schon vor Ort zugebracht habe. Die Tage werden kühler et le temps passe vite, es lässt sich dies nicht verleugnen, gerade da, wo, in Bezug auf Letzteres, die Tage an empirischer, aber auch intelligibler Verdichtung nicht geizen. Diese Verdichtung, die zugleich eine Öffnung ist, eignet aber auch dem hiesigen genius loci, der hier spürbar waltet und wohl nicht zufällig auch den Dichtermaler Max Jacob in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Säkulums als Oblate nach Fleury zog. 

Über das klangmalerische, aber durchaus windreiche Fleury hinaus habe ich mich im Rahmen meiner topologischen Erkundigungen mittlerweile auch nach Auxerre (der Hauptstadt der Bourgogne) sowie nach Orléans (der Stadt Jeanne d'Arcs, wenn man so will) begeben. Beide Städte warten mit einer splendiden, jeweils gotischen Kathedrale auf, verfügen über eine sehenswerte Altstadt (insbesondere Auxerre mit vielen verwinkelten Gässchen) und liegen an einem Fluss, Orléans an der Loire, Auxerre wiederum an der Yonne.

Ora et labora:
Zur Komplementierung der zuletzt bereits erwähnten Hauptgebetszeiten des Offiziums, d.h. der Laudes, Vesper und Vigil, werden hier auch die kleinen Horen der Terz und Non gemeinsam (und öffentlich) gebetet. Die Komplet wiederum feiert die Gemeinschaft im geschlossenen Kreis nach der Abendspeise.

Am ersten Freitag des Monats pflegt die Gemeinschaft jeweils einen sogenannten “Jour de désert“, also einen Wüstentag der Einsamkeit und Stille, der so in primis dem Gebet, der Kontemplation und der Selbstprüfung dient. Dieser Tag hat sich mir als äusserst kostbar erwiesen und ich gedenke es, solche, modal vergleichbaren Tage auch über den ersten Freitag des Novembrius hinaus, der mich zurzeit noch erwartet, in meine regulären Tage einzuflechten.

Was meine nachmittäglichen Arbeiten im Kloster tangiert, habe ich mich wieder beflissen der Apfel-, Birnen-, und Nussernte gewidmet. Diese Tätigkeiten versetzen einen durchaus in einen Urbezug des menschlichen Erntens und Empfangens und erfüllen so das gaiatische und gottergebene Herz nicht unbeträchtlich. Zudem muss erwähnt sein, dass die hier zu pflückenden Birnen, mit ihrer beinah exzessiven Geschmacksnote, die eindeutig besten Birnen sind, die ich bis anhin gespeist habe. An diese fruktalen Ereignissen reihten sich die Pflege der Blumen hier (vor allem der Rosen) sowie der Umgebung insgesamt. Auch wurde ich in meiner vierten Woche der allgemeinen Abwaschmannschaft zugeteilt, die nach der Mittags- und Abendspeise im Eilgang das Geschirr und Besteck wieder rein wäscht. 

Am Logos wiederum habe ich, wie bereits angetönt, sowohl lesend als auch schaffend gewirkt. Nebst den schon erwähnten Kirchenvätern (Origenes ist und bleibt ein Genius) habe ich mich so bisher auch mit der christlichen Meditation bei Von Balthasar, dem Gebet nach Evagrios Pontikos bei Gabriel Bunge, der europäischen Mystik bei Wehr, der benediktinischen Lebensweise bei Rumiz sowie mit der Theologie von Johannes vom Kreuz beschäftigt. Ausserdem habe ich erneut Thérèse de Lisieuxs “Historie d'une âme" gelesen sowie erstmals Emmanuel Carrères “Le royaume“, das sich hauptsächlich mit Paulus und dem Apostel Lukas auseinandersetzt. Ferner war es mir beschieden, zwei meiner kleineren Schriften abzuschliessen, die eine über das hyperbolische Selbst bei Kierkegaard und Nietzsche, die andere über einen kritischen Vergleich des Christentums mit der Digitalisierung, und auch noch einige Poeme zu Papier zu bringen. Schliesslich habe ich auch dem wöchentlich für die Novizen stattfindenden Kursus "L'historie de la spiritualité monastique“ beigewohnt, der sich bisher höchst adäquat in mein Studium der Väter einfügt.

Bildgeschehnisse: 
Abschliessend folgen wieder einige visuelle Impressionen dieser letzthinnigen Tage:














“Ce que Dieu prétend, c’est de faire de nous des dieux, par participation de ce qu'il est lui-même par nature; de même que le feu convertit toute chose en feu.” (Juan de la Cruz)

In Christo, cordialiter et valete,
J