Sonntag, 15. November 2020

Eine Stimme aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire V

Salvete wohl, erneut und noch immer aus Fleury in Saint-Benoit-sur-Loire,

- "Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt. / Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. / Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut." (Eph 4,14-17)


Nunmehr auch die zehnte klosterzeitliche Woche ins Gelingen gestellt, folgt der übliche orts-, gebets-, arbeits-, und bildsteigende Blick auf die vergangenen Zeiten, die sich am Halbmonatlichen abmühen:


Topologisches:
Wie nun das virale Faktum die raumzeitlichen Bewegungsverhältnisse für unsereins zurzeit nicht wenig prägt, waren diesen letzten vierzehn Tage, wie bereits angedeutet, auch hier von einer topologischen Selbstreterenz gezeichnet. Dieser Rückwurf hat es nun zwar verhindert, dass ich in eigentlich greifbarer Nähe liegende Orte wie Nevers, Bourges und Tours zu erkunden vermochte, hat mich aber näher an Fleury, sein Kloster und die unmittelbare Umgebung gebunden, was gewiss auch sein Gutes und Rechtes hat. Vom Piano über die Loire und den Kreuzgang bis hin zu Benedikts Reliquien wussten sich mir so bereits vertraute Freunde noch einmal vertrauter und liebsamer zu machen. Wir könnten diese intensivierten Freundschaften auch als existenzielle Berührungen der materialisierten Essenz bezeichnen, im Hiersein und Hierfühlen, im Hierwesen und Hiertun - und dies immer mit dem Zweck daran das Hierophane zu evozieren. Aber ach, gelang es mir auch?

Aufgrund des Rückwurfes auf uns selbst fanden und finden die Messen sowie die Terz hier nun nicht mehr wie üblich in der Kirche, sondern neu im hausinternen Oratorium Saint-Louis statt. Mit zweifacher Folge: Insofern ich hier nämlich Teil der Gemeinschaft bin, sozusagen ein Glied am fleury'schen Corpus, ist dies ein unitarisches Begebnis: Eine neue, identitätsstiftende Einheit brach sich mir bahn. Insofern ich hier aber doch nur als ein Gast weile, wurden und werden die Messen im Grunde, aus meiner externen Perspektive, wiederum nur für mich allein gefeiert: Eine neue Intimität mit der Eucharistie war die Folge.

Identität und Intimität, es sind dies vor allem Kategorien des Innen. Und als solche manifestierten sie sich mir auch in ihrem wunderbaren Wert: Im Aussen tobte die konkupiszente und viral gebeutelte Welt in diesen zwei Wochen nicht wenig, hier, im gesteigerten Innen des essenziell Identischen und Intimen aber wuchsen Ruhe und Sublimität. Zwei Gnaden, die nicht nur zu geniessen und fruchtbar zu machen, sondern auch mit Dank und Demut anzunehmen sind. Deo gratias.


Ora et labora et lege:

Wie angedacht, habe ich diese letzthinnigen Zeiten auch zur Intensivierung kontemplativer Tage genutzt und so nebst dem ersten Freitag des Monats, der einmal mehr als kollektiver "jour de désert" begangen wurde, auch mehrere persönliche Wüstentage der vollkommenen Stille, Selbstbesinnung und Ferne von digitalen Gerätschaften eingelegt. Wenn Kierkegaards Wort, dass das Gottesverhältnis das einzige ist, was Bedeutung schafft (Tagebücher, Band II), und Paulus mit seinem Wort, dass er alles vermag durch den, der ihn stärkt (Phil 4,13), recht behalten, dann waren und sind dies genau jene Tage, in welchen mir Gott einreichte, was ich fortan in Stärke zur Signifikation gebracht haben werde.

Die klosterbezogenen Arbeiten indes oszillierten erneut zwischen dem kühleren, aber doch nicht wirklich kalten Aussen und dem jedenfalls warmen, aber nicht heissen Innen: So war ich gleichermassen an der "Dekonstruktion" des Obstgartens beteiligt (alle Früchte sind gepflückt, die Knospen für das kommende Jahr sind aber bereits sichtbar im Werden begriffen), half mit bei der Um- und Einpflanzung von 24 Weissbuchen und blieb in der Confiserie zwischen Zucker und Plastik beschäftigt.

Meine kleinen Leseexzesse wiederum hielten ihren gewohnten Rhythmus bei, wobei ich mich nun, nach einigen vollendeten Lektüren, neu vor allem mit Thomas von Aquin und seiner Summa auseinanderzusetzen begonnen habe. Danebst wurde ich auch bei Rousseau, Balzac, Michel Henry und Agamben heimisch, bei letzterem etwa zu seinem angelologischen Beitrag. Der Höhepunkt in dieser Sache aber war - und ist es noch - die Beschäftigung mit der reinherzigen Simone Weil, wobei ich mich zunächst ihren Briefen und danach ihrem Werk "Pesanteur et Grace" gewidmet habe.
Der Kursus zur Spiritualité monastique seinerseits schritt zunächst zur Klosterausbreitung im Abendland sowie den verschiedenen Klosterregeln des ersten Jahrtausends vor, um dann, wieder einige Schritte zurück, bei Pachomius zu enden.

Auch mein schaffender Logos hielt seinen bisherigen Rhythmus, blieb aber an den ebenselbigen Werken rege, wie diese seit den letzten Wochen meine Bemühungen um mein Oeuvre eben zeichnen. Beharrlichkeit ist gefragt, und Geduld. Zwei Leidenszeichen poietischer Naturen.


Bildgeschehnisse:

Zum vorbereitenden Abschluss dieser Zeilen wiederum der Blick auf einige Bildgeschehnisse dieser Tage. Man sehe und denke sich... :

















- "Der Knecht aber, der seines Herrn Willen weiß, und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen getan, der wird viel Streiche leiden müssen. / Der es aber nicht weiß, hat aber getan, was der Streiche wert ist, wird wenig Streiche leiden. Denn welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern." (Lk 12,47-48)

In Christo, cordialiter et valete,

J




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